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Posts Tagged ‘krank durch Pestizide’


Der Biospritboom in Europa macht uns krank, sagen nicaraguanische Landarbeiter. In Deutschland suchen sie Beistand gegen das mächtigste Unternehmen ihres Landes.

„Für uns sind die Zuckerrohrfelder die Mutter der Krankheit“. Carmen Rios sagt es in der leisen, sanften Tonlage der Landbevölkerung. Die kleine, etwas füllige Frau stammt aus dem kleinen Örtchen El Viejo in der Provinz Chinandega an der nicaraguanischen Pazifikküste. Dort erstrecken sich die Plantagen des nicaraguanischen Zuckerimperiums Pellas, die für Carmen Rios untrennbar verbunden sind mit dem schleichenden Tod. Vor neun Jahren starb ihr Mann, vor fünf Jahren der Bruder, vor nicht einmal einem Jahr raffte es den Vater dahin. Zwei andere Brüder sind erkrankt, sagt sie. Immer dieselbe Diagnose: IRC. Es ist  das spanische Kürzel für chronisches Nierenversagen (Insuficiencia Renal Crónica).

Carmen Rios ist unsicher, ob sie selbst die Krankheit, die erst im späten Stadium Beschwerden macht, nicht ebenfalls in sich trägt. In Deutschland will sie sich untersuchen lassen. Denn die 55-Jährige hat zwar nicht in den Plantagen gearbeitet, aber sie hat das Brunnenwasser getrunken, in dem Gutachter verschiedenste Pestizide nachgewiesen haben. Sie hat den Qualm eingeatmet, der entsteht, wenn vor dem Schneiden des Zuckerrohrs die chemikaliengetränkten Blätter der Pflanzen abgebrannt werden.

Hitze, verseuchte Brunnen, Pestizide

Carmen Rios führt heute die „Vereinigung an Niereninsuffizienz Erkrankter“ ANAIRC (Asociación Nicaragüense de Afectados por Insuficiencia Renal Crónica) an. Es ist der Zusammenschluss von über 300 betroffenen ehemaligen Zuckerrohrarbeitern, die sich mit der wirtschaftlich mächtigsten Familie Nicaraguas anlegen, den Pellas. Sie haben Klage eingereicht, veranstalten seit fast zwei Jahren ein Protestcamp in der Nähe des Unternehmenssitzes in Managua und fordern im Internet zum Boykott der beliebten Pellas-Rumsorte „Flor de Cana“ auf.

Rumflasche Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Boykottaufruf gegen Nicaraguas beliebtesten RumDem Unternehmen Nicaragua Sugar Ltd. werfen die IRC-Opfer vor, dass die Schinderei in glühender Hitze, ohne sauberes Trinkwasser und inmitten der von Chemikalien verseuchten Zuckerrohrplantagen daran schuld sei, wenn in der Pazifikregion um die Städte Chinandega und León massenhaft Menschen an chronischem Nierenversagen dahinsiechen. Sie wollen Entschädigung, bessere Arbeitsbedingungen und einen völligen Verzicht auf Pestizide beim Zuckerrohranbau. Das Problem für die Opfer-Vereinigung: Bisher gibt es kein wissenschaftliches Gutachten, das die Arbeit in der Zuckerfabrik San Antonio als eindeutige Ursache für das Siechtum Tausender definiert.

Wieviel Schuld haben die Europäer?

Die Indizien dafür hält jedoch nicht nur Carmen Rios für ausreichend, auch zahlreiche entwicklungspolitische Organisationen in Deutschland tun das. Und so tourt Carmen Rios derzeit gemeinsam mit einem Journalistikstudenten aus Managua, der mit den Landarbeitern sympathisiert, auf Einladung des Heidelberger Nicaragua-Forums durch Deutschland, um freundlich aber bestimmt aufzuklären: „Den Biospritboom in Europa bezahlen wir Nicaraguaner mit unserer Gesundheit. Denn ihr Europäer seid schuld daran, wenn statt Mais, Weizen und Reis immer mehr Zuckerrohr angebaut wird, und zwar auf gesundheitschädliche Weise.“

Nicaraguaner Carmen Rios und Camilo Navas auf dem Balkon des Berliner Pressehauses (Foto: DW)  Foto:Bernd GräßlerBildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Carmen Rios und Camilo Navas: Suche nach Unterstützung
Eine Logik, der sich wohl zahlreiche Nicaragua-Sympathisanten und Biosprit-Gegner vorbehaltlos anschließen, nicht aber der Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie die beiden ANAIRC-Abgesandten beim Besuch im Berliner Regierungsviertel erfahren. Vier Abgeordnete sind gekommen: zwei von der SPD, einer von den Grünen, eine von den Linken. CDU, CSU und FDP glänzen durch Abwesenheit.

„Egal ob Rum oder Biosprit“

Der Wunsch der Nicaraguaner, die deutschen Politiker mögen sich für ein vollständiges Importverbot von nicaraguanischem Bioethanol nach Europa einsetzen, weil sonst der gesundheitsschädliche Zuckerrohranbau überhand nehme, ist schnell vom Tisch. „So geht das nicht, mit der Einführung von E10 hat das nichts zu tun“, meint der SPD-Abgeordnete Sascha Raabe, denn egal ob man Zuckerrohr für Rum oder für Biosprit anbaue, die Arbeitsbedingungen blieben schließlich die gleichen.

Ebenso wenig Gnade vor den deutschen Parlamentariern findet die Meinung von Carmen Rios, die eigene Regierung sei zu schwach und deshalb sollten die Europäer Druck auf die Pellas-Gruppe machen, um die Arbeits- und Umweltbedingungen in den nicaraguanischen Zuckerfabriken zu verbessern. Es sei die Verantwortung der regierenden Sandinisten, die Rahmenbedingungen für Gesundheits- und Arbeitsschutz schaffen, werden die Nicaraguaner ziemlich barsch belehrt. Und erfahren bei dieser Gelegenheit, dass ihre Regierung noch nicht einmal die fast drei Jahrzehnte alte Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt unterzeichnet hat. Deshalb könne man beispielsweise keine Abordnung nach Nicaragua schicken, um das zu überprüfen. „Wenn die Sandinisten sagen, sie tun alles für das Volk, dann sollen sie das auch tun“, bemerkt leicht süffisant der Sozialdemokrat Raabe.

Nicaraguas Botschafter soll berichten

Die beiden Abgesandten aus dem mittleren Amerika blicken zunächst, als wären sie im falschen Film. Das war „ziemlich hart“, sagt Carmen Rios hinterher. Doch die deutschen Politiker sind durchaus gewillt, ihnen Unterstützung angedeihen zu lassen, allerdings auf ihre Weise. Eine Stunde lang nehmen sie sich Zeit für ihre Gäste. Auf Vorschlag der SPD-Abgeordneten Karin Roth soll demnächst der nicaraguanische Botschafter eingeladen und befragen werden, ob in seinem Land die Standards der Weltgesundheitsorganisation eingehalten werden. Außerdem will man bei der Bundesregierung nachfragen, ob überhaupt nicaraguanisches Bioethanol auf den deutschen Markt gelangt und inwieweit Deutschland bei bilateralen Regierungskonsultationen Einfluss nehmen kann auf die Einhaltung von Gesundheits- und Arbeitsschutzstandards in der Zuckerrohrproduktion in Nicaragua.

Porträt der SPD-Abgeordneten Karin Roth (Archivbild: dpa)Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  SPD-Abgeordnete Karin Roth: Nicaraguas Regierung zum Handeln drängenBekannt ist, dass Nicaragua seit drei Jahren Bioethanol nach Europa liefert, in der Saison 2009/2010 rund 80 Millionen Liter. Nach den Richtlinien der Europäischen Union muss dieser Biosprit nachhaltig produziert sein, wie es im Bundestagsausschuss beruhigend heißt. Doch über den Gesundheitsschutz derjenigen, die das Zuckerrohr ernten, aus dem später der Sprit entsteht, steht in der europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie nichts.

Wer krank ist, wird entlassen

5341 IRC-Tote hat die nicaraguanische Opferorganisation ANAIRC seit 2005 registriert. Mehr als 8000 Erkrankte gebe es, sagt Carmen Rios. Laut einer Studie der Universität Boston liegt die IRC-Rate in den Regionen Chinandega und Leon zehnmal höher als in den USA. Der nicaraguanische Staat hat in den letzten Jahren einiges getan, um das Schicksal der Kranken zu erleichtern. So gibt es im Krankenhaus von Chinandega mittlerweile immerhin 40 Dialyse-Plätze und eine bessere Medikamentenversorgung.

Zuckerunternehmer Pellas lässt im Internet verbreiten, heute setze man auf seinen Plantagen gar keine oder kaum noch Pestizide ein, es gebe Schutzkleidung und die Arbeiter müssten nicht mehr stundenlang in der Mittagshitze schuften, um zu ihrem Geld zu kommen. Doch Carmen Rios hält das für unwahr.

Auf den Feldern von „San Antonio“ habe sich nicht viel geändert, behauptet sie. Die Pflanzenblätter würden weiter vor dem Schnitt abgebrannt, erkrankte Arbeiter berichteten immer wieder, mit welchen Chemikalien sie zu tun gehabt hätten. Allerdings untersuche das Unternehmen regelmäßig die Blutwerte der Beschäftigten: Um sie beim Anzeichen einer Erkrankung zu entlassen.

Quelle

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,14973223,00.html

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Wim Abbink

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